Kluge Köpfe forschen bundesweit an der 5G-Zukunft. In Nordfriesland werden bald Drohnen Windkraftanlagen begutachten, in Kaiserslautern 5G-Roboter übers Feld fahren. Und in Braunschweig hilft 5G, Herz-Kreislauf-Probleme zu diagnostizieren.
Jeden Tag schreckt ein Mensch auf, weil sein Herz gefühlt „ins Stolpern“ gerät. Ärztinnen und Ärzte geben beim Verdacht auf eine Herzrhythmusstörung ein unhandliches Langzeit-EKG-Gerät mit nach Hause. Die angeschlossenen Kabel sind unpraktisch, vor allem nachts im Bett. „Und wie es häufig so ist: Natürlich passiert in den folgenden 48 Stunden nichts“, sagt der Medizininformatiker Nicolai Spicher. Bestehen die Herzprobleme jedoch weiter, implantieren Kardiologen einen Herzmonitor, der Monate oder sogar Jahre im Körper verbleibt.
Dabei könnte es eine einfachere Lösung geben, glaubt Spicher: ein Stück Stoff und ein 5G-Handy. Mit seinem Team vom Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover arbeitet Nicolai Spicher an einer „charmanteren und smarteren Alternative“ zum alten EKG, wie er sagt. Spicher hat sogenannte EKG-T-Shirts gekauft. Sie sind schon heute im Handel erhältlich, meist für einige hundert Euro pro Stück. Die Shirts sollen künftig aber nicht nur Herzfrequenz und Herzrhythmus lokal aufzeichnen. Sie sollen die Daten an ein Handy und dann über das öffentliche 5G-Mobilfunknetz an eine Klinik übertragen, wo die Daten live durch intelligente Algorithmen ausgewertet werden können.
5G-Netz überträgt Herzdaten in Echtzeit zur Klinik
Wird ein Problem sichtbar, könnten Herzspezialistinnen und -spezialisten die Betroffenen mit dem stolpernden Herzen direkt ins Krankenhaus holen – schon vorbeugend, bevor eine bedrohliche Herzrhythmusstörung eintritt. „Das T-Shirt lässt sich bequem tragen und ist waschbar“, sagt Spicher. Messungen am Arbeitsplatz, im Supermarkt oder beim Joggen sind somit möglich, ohne dass jemand überhaupt ein EKG bemerkt.
Wie genau kommt dabei 5G ins Spiel? Im T-Shirt zeichnen Elektroden die Aktivitäten des Herzens auf. Über Bluetooth Low Energy überträgt das Shirt die Daten an das Handy des Patienten oder der Patientin. Von dort werden sie über 5G weiter an die Klinik übermittelt. Der Weg über das Handy und die zentrale Auswertung der Daten spart Energie. „Die erhobene Datenmenge ist zwar gering, die Auswertung aber rechenintensiv“, erläutert Spicher. Lagere man den Rechenprozess aus, ist der zusätzliche Stromverbrauch auf dem Handy nur minimal. Das Handy kommt wie gewohnt an die Steckdose. 5G garantiere eine extrem geringe Verzögerung (Latenz) in der Übertragung. Die Herzdaten kommen also praktisch in Echtzeit beim Arzt oder bei der Ärztin an.
Förderung des Bundes ermöglicht den Pionierversuch
Spicher wird zunächst 50 Freiwillige mit den T-Shirts ausstatten. Erst später ist ein Test mit herzerkrankten Patientinnen und Patienten geplant. Möglich wird diese Pionierforschung durch ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV). Das Projekt ist Teil des 5G-Reallabors in der Mobilitätsregion Braunschweig-Wolfsburg: Forschende testen dort auch, wie sie 5G nutzen können, um Züge automatisch zu steuern, den Informationsaustausch auf Baustellen zu verbessern und Ampeln für Rettungsfahrzeuge auf Grün zu schalten.
Die öffentliche Förderung ist notwendig, um diese 5G-Innovation in Gang zu bringen. Die EKG-T-Shirts etwa sind derzeit nicht als Medizinprodukte zugelassen. „Die Hersteller müssten für die Zulassung noch investieren“, sagt Spicher. Sein Team will dennoch schon heute beweisen, was technisch möglich ist – um den Weg zu ebnen für eine 5G-gestützte Herzmedizin.
5G-vernetzte Drohnen sollen Windräder inspizieren
5G-Pionierversuche entstehen auch ganz weit im Norden, kurz vor der Grenze zu Dänemark. Auf einem ehemaligen Flugplatz und einem nahegelegenen Campus wollen Forschende und Firmen die Zukunft des autonomen Fliegens und Fahrens ausprobieren. 5G-TELK-NF heißt das Projekt. TELK steht für die eingebundenen Gemeinden Tinningstedt, Enge-Sande, Leck und Klixbüll, NF für die Region Nordfriesland. „Wir werden hier, im ländlichen Raum, zwei feste, eigene 5G-Campusnetze aufbauen und zusätzlich auch eine portable Lösung einsetzen“, sagt Projektleiter Adnan Martinovic.
Weshalb hier? Gerade im ländlichen Raum gibt es spannende Einsatzgebiete für 5G. Im flachen und stürmischen Norden stehen viele Windkraftanlagen. Ihre Türme messen bis zu 150 Meter. Regelmäßig müssen Technikerinnen und Techniker hoch und mit Kletterausrüstung den Zustand der Rotorblätter überprüfen. Diese gefährliche und aufwendige Tätigkeit werden zukünftig Drohnen übernehmen.
Schon heute können Drohnen sehr nah an ausgeschaltete Windräder heranfliegen und ihren Zustand filmen. Über eine 5G-Verbindung könnten die Fachleute am Boden die Bilder sogar live und in höchster Auflösung sehen, sodass ihnen kein feiner Riss im Material entgeht.
Neben der Inspektion von Windkraftanlagen testet das nordfriesische Projekt weitere Anwendungen für 5G-vernetzte Drohnen, zum Beispiel Waldbrandmonitoring und Live-Luftbilder, die Einsatzkräfte mit einem Lagebild von Verkehrsunfällen versorgen.
Auch am Boden soll fleißig getestet werden: Die Forschenden wollen autonomes und vernetztes Fahren ausprobieren – mit Szenarien wie auf der Autobahn, auf Landstraßen oder im urbanen Raum. Das vernetzte Fahren und Fliegen verbindet eines: Für beide Anwendungsfelder will das Projekt einen Leitstand aufbauen. Von dort sollen Spezialisten über das 5G-Netz Steuerbefehle erteilen und alles in Echtzeit im Blick behalten, damit unbemanntes Fahren und Fliegen sicher stattfindet.
5G bietet ihnen mindestens zwei Vorteile: Die neue Mobilfunkgeneration kann größere Datenmengen übertragen – und in der Übertragung der Livebilder beträgt die Verzögerung weniger als 30 Millisekunden. Um diese Vorteile zu nutzen, muss in Nordfriesland neue Infrastruktur entstehen. Das dafür nötige Geld kommt aus dem 5G-Innovationsprogramm des BMDV. Die Investition soll sich lohnen, denn bereits viele weitere Vorhaben stehen in den Startlöchern.
Lieferwagen bringt schnelles 5G-Netz an den Feldrand
Auch in der Pfalz bringen Forschende 5G in die ländliche Region. Ein silbergrauer Transporter rollt auf das Gelände des landwirtschaftlichen Hofgutes Neumühle. Kabel verbinden Computerbauteile, auf dem Dach zeigt sich eine Antenne. Doch hier ist kein Übertragungswagen des Fernsehens unterwegs. Das Fahrzeug der Technischen Universität Kaiserslautern transportiert ein 5G-Mobilfunknetz. Vor Ort verbindet sich dieses private 5G-Netz mit einem kleinen Roboter und einer Drohne. Die Kameras der Drohne nehmen Bilder auf, die via 5G verschickt und auf einem Server in der Cloud analysiert werden. Wächst hier tatsächlich Unkraut? Dann bringt der Roboter punktuell Pflanzenschutzmittel auf den Acker. Die Feldspritze kann somit zielgenau arbeiten, spart Pflanzenschutzmittel und schont die Umwelt.
Ein Team um Prof. Hans Schotten testet das portable 5G-Campusnetz. Auch diesen Versuch macht das 5G-Innovationsprogramm möglich. Die nahe Zukunft stellt sich Schotten so vor: „Ein Landwirt kontrolliert über unser Campusnetz einen Schwarm von autonomen Erntefahrzeugen, die er bei Bedarf per Joystick steuert.“ Über das leistungsstarke Netz melden ihm die Maschinen Ernteerträge live aufs Display und senden auch ein Live-Kamerabild. Landwirtin und Landwirt behalten alles im Blick, während die Maschinen an mehreren Orten parallel aktiv sind. Das verspricht Effizienz und Entlastung, denn schon heute fehlen der Landwirtschaft massiv Fachkräfte, und viele Aufgaben auf dem Feld sind zudem äußerst anstrengend. „Wir machen 5G nicht zum Selbstzweck“, sagt Schotten, „sondern um der Gesellschaft zu helfen und Menschen zu entlasten.“
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