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Medienproduktion über Mobilfunk

5G in Nauen: Modernes Netz an historischem Ort

01.06.2021
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Neue Technologie hat in Nauen Tradition. Die Stadt im Havelland ist seit 1906 Standort einer Großfunkstelle. Nun proben Fachleute auf dem Areal die Medienproduktion mit 5G – und wollen ihre Ideen bald in die Stadien der Fußball-Bundesliga bringen.

Durch die riesige, alte Sendehalle wabert ein leises Rauschen. Mehrere Computerlüfter haben gut zu tun an diesem Vormittag. Sie kühlen die Server eines 5G-Netzes. Der Betrieb der Lüfter verursacht ein  relativ neues Geräusch für diesen Ort. In der Sendehalle der Großfunkstelle Nauen dröhnten früher schwere Maschinensender. Ihre Generatoren ließen die beigen und braunen Kacheln vibrieren. Doch mit der Zeit ändert sich auch die Technik. Die Großfunkstelle westlich von Berlin, in Betrieb seit 1906, ist nun Heimat eines eigenen 5G-Campusnetzes. Solche lokalen, privaten Netze werden mit dem neuen 5G-Mobilfunk erstmals möglich.

Daniel Wolbers blickt auf sein Smartphone: Das 5G-Netz meldet sich betriebsbereit. Der Projektleiter ist aus Köln angereist, um Kundinnen und Kunden aus der Medienbranche zu treffen. Wolbers sagt: „Der schnelle 5G-Mobilfunk wird Fernseh- und Videoproduktionen ganz grundlegend verbessern.“ Um dies zu testen, hat Wolbers' Arbeitgeber Media Broadcast einen „mittleren sechsstelligen Euro-Betrag“ investiert und ein lokales 5G-Netz aufgebaut. Im neuen Mobilfunkstandard 5G ist es Unternehmen und Hochschulen erstmals möglich, ihr eigenes, unabhängiges Mobilfunknetz zu betreiben.

Performance-Prüfung: Daniel Wolbers überträgt im 5G-Netz Daten mit 1.000 Megabit/Sekunde bei minimaler Verzögerung (Latenz) von etwa 2 Millisekunden.

Das schnelle 5G-Netz passt in eine kleine Box

Deshalb steht in der historischen Sendehalle jetzt ein blauer Kasten. Die sogenannte 5G Blue Box enthält ein ganzes Mobilfunknetz: das Core, also das sogenannten Kernnetz, sowie die IT-Technik für eine Basisstation, also die Sendeeinheit. Über Glasfaser ist die blaue Box mit der Außenwelt verbunden. Im Raum verteilt sind zwei Kästen mit unscheinbaren Antennen. Oben auf dem Dach des Nauener Sendegebäudes ist eine weitere Antenne, die die Umgebung mit 5G-Empfang versorgt.

Was ist möglich im 5G-Netz? Wolbers zieht einen kleinen Rucksack über sein weißes Hemd, um die Frage zu beantworten. Er trägt nun gewissermaßen einen Ü-Wagen auf dem Rücken. Denn mit dem Rucksack können Videoreporterinnen und -reporter im Ein-Personen-Betrieb Livebilder ins Internet oder in die Regie eines TV-Senders übertragen. Das funktioniert schon mit dem älteren Mobilfunkstandard 4G. „Bislang werden die Bilder aber stark komprimiert, um nicht ganz so große Datenmengen übertragen zu müssen“, erläutert Wolbers. „Mit 5G ist das nicht mehr in dieser Weise nötig. Da können wir sogar Video in voller 4K-Bildqualität live streamen, ohne Ruckler und Verzögerung.“

Daniel Wolbers ist sendebereit. Der Rucksack überträgt das Livevideo seiner Kamera über das 5G-Netz.

Eine solche Videoübertragung funktioniert über das öffentliche Mobilfunknetz – etwa, wenn Videoreporter inmitten einer Veranstaltung stehen. Insbesondere bei großen Livesendungen wollen TV-Sender aber sicher vor Ausfällen sein. „Ein eigenes 5G-Netz wie hier in Nauen hat man da komplett in der eigenen Hand“, sagt Wolbers. Das Netz von Nauen ist deshalb nur der Anfang. Produktmanager Hans Rummert sieht 5G-Campusnetze in Zukunft bei allen großen Produktionen wie etwa dem ZDF-Fernsehgarten. „Dort fliegt oft ein Hubschrauber für Luftbilder über das Gelände. Künftig können stattdessen kleine, leise Kameradrohnen gestochen scharfe Livebilder über 5G übertragen“, sagt Rummert.

Neu trifft alt: Nauen funkt Radio nach Marokko und China

In Szenarien wie diesen wird die Zukunft greifbar – doch in Nauen ist ebenso noch ganz viel Geschichte präsent. Gleich neben der blauen 5G-Box kümmert sich Walter Neumann um das traditionsreiche Tagesgeschäft. Neumann kontrolliert aus einer Art Leitstand heraus die Funkübertragungen über Kurzwelle. Nur wenige Antennenanlagen in Europa beherrschen diese Technologie noch. Fünf von ihnen stehen in Nauen. Diese Zeugen einer bald endenden Funk-Ära sind 70 bis 80 Meter hoch und thronen weithin sichtbar auf den Wiesen rund um das Sendegebäude. Über die rot-weißen Stahlkonstruktionen senden Kunden ihre Radioprogramme in die ganze Welt.

Neumann dreht drinnen die Regler auf und lächelt, als die Stimme eines Mannes hörbar wird. „Dieses Programm übertragen wir gerade nach Marokko – eine Sendung in einer dort gesprochenen Berbersprache“, sagt er. So exotisch wie heute der Kurzwellenfunk ist, so außergewöhnlich sind auch die Programme. Vor allem religiöse Gruppen und Minderheiten nutzen heute noch die Nauener Sender. Über die Kurzwelle können sie von hier aus direkt Menschen in der Wüste Marokkos oder auch in den Bergen Chinas erreichen – unbeeindruckt vom staatlichen Einfluss vor Ort. Doch die Kurzwelle ist eine Technologie mit einem Ablaufdatum, weiß auch Neumann: „Wir stellen einige Ersatzteile für unsere Antennen schon selbst her, weil sie nicht mehr produziert werden.“

5G macht 3D-Livebilder aus dem Stadion möglich

Ganz anders ist es heute bei 5G. Die Technologie entwickelt sich länderübergreifend und die Ideen sprudeln. So würde Daniel Wolbers mit seiner blauen Box gerne auf die Reise gehen – und zum Beispiel in deutschen Fußballstadien ein 5G-Campusnetz aufbauen. „Mit einem eigenen Netz können wir hohe Geschwindigkeit und geringe Latenz garantieren. Im öffentlichen Mobilfunk schwankt die Leistung – erst recht, wenn 10.000 Fußballfans in derselben Funkzelle sind“, sagt Wolbers. Er will nicht nur TV-Sender, sondern auch Stadionbetreiber für die Idee begeistern. Denn jeder Standort mit 5G-Campusnetz benötigt eine Genehmigung der Bundesnetzagentur. So ist jederzeit klar, wer wo auf welcher Frequenz funkt.

Wolbers greift nach einer kleinen Kamera: „So eine wollen wir in alle vier Eckfahnen der Fußballplätze stecken. Jede Kamera hat zwei Linsen – aus den acht Bildern zusammen können wir dann live ein 3D-Abbild vom Platz erstellen.“ Acht Livebilder in gestochen scharfer Qualität drahtlos übertragen – dafür brauche es die Leistung eines 5G-Netzes. „Und dann können Fans von zu Hause aus virtuell neben Manuel Neuer auf dem Rasen stehen.“

Das 5G-Netz in Nauen

Mit einer solchen Kamera an jeder Ecke eines Fußballplatzes soll ein 3D-Abbild entstehen. Jede Kamera würde parallel zwei Livebilder über ein 5G-Netz senden.
Die blaue Box enthält fast die komplette Technik für ein 5G-Netz. Nur die Antennen sind verteilt, unter anderem auf dem Dach des Nauener Sendegebäudes.
Der Muthesiusbau ist das Hauptgebäude der Großfunkstelle Nauen. Im Hintergrund steht eine Kurzwellenantenne, die Radioprogramme in die ganze Welt überträgt.
Daniel Wolbers betrachtet die 5G-Technik. Mit dem Campusnetz will er vor allem Unternehmen aus dem Medienbereich für 5G begeistern.

Von der Kaiser- bis zur 5G-Zeit

Die Funkstelle Nauen ging am 9. August 1906 in Betrieb. Kaiser Wilhelm II schaute sich als einer der ersten Besucher die noch junge Technologie an. Funk damals und Mobilfunk heute sind kaum vergleichbar: 1906 sorgten die verwendeten Knallfunkensender noch für Lärm. Immerhin: Schon die ersten Versuche übermittelten damals einen Morsecode bis nach St. Petersburg. Die Betreiberfirma Telefunken wurde international erfolgreich.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Standort Nauen militärisch genutzt. Nach dem Krieg ging der Betrieb 1951 weiter. Zu DDR-Zeiten übertrug Nauen über Kurzwellensender Telefonate, Wettberichte und den Staatsfunk Radio Berlin International. Nach der Wende nutzte die Deutsche Welle den Standort, 1997 gingen die heute noch betriebenen Kurzwellenantennen in Betrieb. Das 5G-Mobilfunknetz bedeutet eine neue Ära für die älteste bestehende Sendeanlage der Welt.

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