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Mixed Reality

Diese 5G-Brillen holen Geschichte in die Gegenwart

02.02.2024
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Saarlouis lag nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern. 5G-vernetzte Brillen bringen den historischen Charme der Stadt zurück. Touristinnen und Einwohner erleben längst zerstörte Bauwerke digital direkt vor ihren Augen.

Kaum eine andere Stadt ist so stark von der deutsch-französischen Geschichte geprägt wie Saarlouis. Unter Ludwig XIV. als französische Festung gegründet, fiel die Stadt 1815 an die Preußen, die die Festungsanlage weiter ausbauten. Noch heute sind im Norden der Stadt die alten Wälle und Gräben zu sehen. Die historische Innenstadt ist jedoch fast verschwunden: Im Zweiten Weltkrieg wurde Saarlouis zu großen Teilen zerstört.

„Drei Monate Frontverlauf mitten im Stadtgebiet ließen nicht mehr viel übrig“, erzählt Benedikt Loew, Leiter des Städtischen Museums. Von der französisch-preußischen Festungsanlage blieben hauptsächlich Bilder und Modelle, dokumentiert im Museum. Das ändert sich nun. Ein Forschungsteam macht historische Bauten wieder an ihren ursprünglichen Standorten erlebbar – mithilfe von 3D-Visualisierungen und 5G-Technologie.

Reale und digitale Welt vermischen sich mit der Brille

Die Idee: Bei Stadtführungen sollen Mixed-Reality-Brillen zum Einsatz kommen. Die Wahl der Forscherinnen und Forscher fiel auf die HoloLens von Microsoft. Wer durch eine dieser Brillen schaut, sieht zunächst einmal die reale Umgebung. Über diese Realität legen sich 3D-Visualisierungen historischer Bauwerke, etwa ein Stück der historischen Festungsmauer, das einstige Französische Tor oder die ursprüngliche Barockfassade der Kirche St. Ludwig. Beides vermischt sich im Blickfeld, es entsteht eine Mixed Reality.

Festungsmauer in der Mixed Reality

Heute zeigen Stelen die Dimensionen der alten Festungsmauer. Wer durch die Brille schaut …
… sieht diese: die vollständige Mauer an ihrem ursprünglichen Platz. Der blaue Wassergeist im Bild heißt Fluxus und ist eine Art Maskottchen des Museums.
Diese Brille macht es möglich. Sie wiegt weniger als 600 Gramm.

Softwareingenieur Peter Poller vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) hat die Anwendung programmiert: „Vom Museum haben wir historische Fotos und Pläne der Bauwerke bekommen. Sie dienten uns als Grundlage für die 3D-Modelle.“ Mithilfe einer Software habe er die Visualisierungen dann für die Brille aufbereitet.

So hat Poller beispielsweise Sprachbefehle definiert, mit denen sich die Modelle verschieben, vergrößern oder verkleinern lassen. Die Visualisierung der St.-Ludwigs-Kirche enthält einen besonderen Hingucker: Mit dem Sprachkommando „Feuer können Nutzerinnen und Nutzer den Dachstuhl virtuell in Brand setzen. Ein echter Brand des Kirchturmes im Jahr 1880 war der Grund, dass der Barockbau schließlich eine neogotische Fassade erhielt.

Historische Bauten erscheinen an ihrem einstigen Standort

Wer sich traut, kann in die brennende Kirche hineingehen und von innen aus dem Fenster schauen. Wer sich noch mehr traut, läuft einfach durch eine der dicken Wände hindurch. Doch den größten Effekt entfaltet die Anwendung, wenn man sich auf die virtuelle Realität einlässt und das Bild auf sich wirken lässt: die historischen Bauten in ihrer Originalgröße und an ihrem Originalstandort. Saarlouis, wie es früher einmal ausgesehen hat.

Museumsleiter Benedikt Loew schaut auf das einstige Saarlouis. Diese Modelle im Museum waren bislang das greifbarste Abbild.

Um die virtuellen Modelle korrekt im Stadtbild zu verorten, setzt Peter Poller in der Software sogenannte Anker. „Die App macht dann eine Art Screenshot von der Realität und merkt sich, wo das Objekt im Verhältnis zur realen Welt stehen muss“, sagt Poller. Dieser Anker werde auf dem Server des Brillen-Herstellers gespeichert und könne von dort jederzeit abgerufen werden – auch von anderen Brillen, die mit dem System verbunden sind. „Auf diese Weise sorgen wir dafür, dass alle Teilnehmenden einer Stadtführung die Modelle am selben Ort sehen“, so Poller.

Das 5G-Netz überträgt die erforderlichen Daten

Für den Transfer zwischen Mixed-Reality-Brille und Server braucht es eine gute Mobilfunkverbindung. Das 5G-Netz, das in Saarlouis bereits gut ausgebaut ist, macht es möglich. Christian Braun, der das Projekt seitens der Stadtwerke koordiniert, betont: „Für unser Projekt mussten wir kein eigenes Campusnetz aufbauen. Uns war es wichtig, das öffentliche 5G-Netz zu nutzen, um den Transfer in die alltägliche Anwendung zu gewährleisten.“

Softwareentwickler Poller nennt einen weiteren Grund für den Einsatz von 5G: „Je größer und komplexer die Modelle werden, desto schwieriger wird es für die Brille, das Rendering auf dem Gerät selbst zu bewältigen.“ Reichen die Rechenkapazitäten der Brille nicht aus, muss das Modell auf dem Server gerendert, also berechnet, werden. Von dort wird es dann in Echtzeit auf die Brille übertragen. Auch das ist wichtig, denn die Nutzerinnen und Nutzer bewegen sich und die Modelle müssen sich in Echtzeit mit bewegen.

DFKI-Mitarbeiter Peter Poller demonstriert die Anwendung. Die Mixed-Reality-Brille lässt sich mit Sprachbefehlen und Gesten steuern.

Peter Poller und sein Kollege Boris Brandherm vom DFKI beschäftigen sich schon seit Langem mit Systemen, die eine Mensch-Computer-Interaktion via Sprache, Gestik und Mimik ermöglichen. Im Bereich der Mixed-Reality gebe es verschiedene Ansätze, erläutert Brandherm: „Bei anderen Systemen sieht man nicht die tatsächliche Realität, sondern ein Videobild der Realität. Dadurch gibt es eine minimale Verzögerung zwischen meiner Bewegung und dem, was ich sehe.“ Und davon, so Brandherm, werde vielen Menschen schlecht. Deshalb fiel die Wahl auf die HoloLens – sie legt virtuelle Elemente in die reale Umgebung hinein.

Das Ziel: Historisches Saarlouis mit der Gegenwart verbinden

Auch Virtual-Reality-Brillen wären keine Alternative gewesen, da sind sich alle Projektbeteiligten einig. „Mit einer VR-Brille ist alles, was ich sehe, virtuell“, sagt Museumsleiter Loew. „Da kann ich mir die Festungsmauer auch zu Hause auf dem Sofa anschauen.“ Ihnen sei es aber gerade darum gegangen, das historische Saarlouis mit dem heutigen zu verbinden.

Funkturm in der Innenstadt von Saarlouis. Das Projekt nutzt das öffentliche 5G-Netz.

Warum das so wichtig ist, wird deutlich, wenn man mit Horst Rupp spricht. Der Leiter der Stabsstelle für Digitalisierung bei der Stadt Saarlouis sieht 5G und digitale Werkzeuge als Chance, um den Tourismus anzukurbeln. „Wir befinden uns in einem Strukturwandel“, erläutert Rupp. „Durch die Schließung des Ford-Werks steht die Stadt vor großen Veränderungen. Und wie viele andere Kommunen haben wir das Problem, dass immer weniger Menschen in die Innenstadt kommen. Da müssen wir uns fragen, wie wir als Stadt attraktiv bleiben.“ Die Stadtführungen mit Mixed-Reality-Brille sieht Rupp als attraktives Angebot nicht nur für Touristinnen und Touristen, sondern auch für die Menschen, die in Saarlouis leben. „Das ist eine Möglichkeit, unsere Stadt noch mal ganz anders zu erleben.“

Erstes Nutzerfeedback: „Danke, dass ich das erleben durfte“

Noch sind die Brillen nicht regulär im Einsatz. Erstes Nutzerfeedback gibt es trotzdem schon – und das klingt vielversprechend. Peter Poller berichtet von einer Historikertagung, bei der internationale Forscherinnen und Forscher in Saarlouis zusammengekommen waren. Die perfekte Zielgruppe für einen ersten Testlauf. „Danke, dass ich das erleben durfte“, sagte einer der Teilnehmer hinterher. Ein schöneres Feedback könne man als Entwickler nicht bekommen, schwärmt Poller: „Da geht einem das Herz auf.“

5G Anwendungsfälle für Saarlouis

Seit November 2021 fördert das Bundesministerium für Digitales und Verkehr das Projekt „5G-SLS“. Es ist Teil des 5G-Innovationswettbewerbs. Unter dem Leitgedanken „5G-Services für die Kreisstadt Saarlouis“ werden Anwendungsfälle konzipiert, umgesetzt und getestet, die auf dem neuen Mobilfunkstandard basieren.

Mit den Stadtwerken Saarlouis, der Kreisstadt Saarlouis, dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar) bringen vier verschiedene Partner ihr Know-how und ihre Erfahrungen ein. Das Forschungsprojekt gliedert sich in drei Teilbereiche:

  • das hier vorgestellte Tourismusprojekt,

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