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Landwirtschaft

Auf Ampfer-Jagd mit dem rollenden 5G-Netz

09.11.2021
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In der Pfalz bekämpft ein Roboter gezielt Unkraut auf der Wiese. Ein portables 5G-Netz macht es möglich. Der Ortsbesuch zeigt: Robotik und schneller Mobilfunk revolutionieren die Landwirtschaft – und schonen zusätzlich die Umwelt.

Auf einer Wiese nordöstlich von Kaiserslautern blicken zwei Männer gebannt in die Ferne. Bastian Kolb-Grunder und Christopher Hobelsberger halten jeweils eine Fernbedienung in ihren Händen. Sie schauen konzentriert und sprechen wenig. Kolb-Grunder steuert eine Drohne, Hobelsberger einen fahrenden Feldroboter. Was aussieht wie ein Videospiel in freier Natur, ist tatsächlich ein Test der Technischen Universität Kaiserslautern für 5G-Mobilfunk in der Landwirtschaft. Dank Drohne, 5G und Künstlicher Intelligenz kann der Roboter gezielt Unkraut auf der Wiese bekämpfen.

Und das funktioniert in fünf Schritten:

(1) Die Drohne sammelt in etwa zehn Metern Höhe Luftbilder. Diese hochaufgelösten Fotos versendet sie über ein 5G-Mobilfunknetz.

(2) Das Netz wird von einem Fahrzeug aus gesendet. Der silbergraue Transporter steht am Rand der Wiese und ist die Schaltzentrale. In ihm arbeiten Server und Mobilfunktechnik. Auf seinem Dach lässt sich ein Mast mit Antennen mehr als zehn Meter hoch ausfahren. So kann das Fahrzeug ein eigenes, sogenanntes 5G-Campusnetz für die landwirtschaftlichen Flächen in der Umgebung aufbauen.

(3) Im Fahrzeug analysiert ein Computer mithilfe von Künstlicher Intelligenz alle eingehenden Daten. Dieser Algorithmus für die Bilderkennung hat ein Ziel: Er soll Stumpfblättrigen Ampfer erkennen. Die Pflanze zählt auf Wiesen und Weiden zu den Problempflanzen. Ampfer wird von Kühen nicht gefressen und ist gleichzeitig ein sehr konkurrenzstarker Platzräuber für die von den Tieren gern gefressenen Gräser. Wenn Ampfer erkannt wird, werden die Koordinaten an den Feldroboter mit 5G übertragen.

(4) Mit diesen Koordinaten fährt der Feldroboter los. Auch er hat Kameras. Sie scannen den Boden aus wenigen Zentimetern Entfernung und erfassen noch mehr Details als die Luftbilder. Zunächst werden die Bilder vom Boden noch auf dem Roboter ausgewertet, aber in einer späteren Phase des Tests auch über 5G an die Server im Fahrzeug geschickt.

(5) Hat der Algorithmus schließlich Ampfer erkannt, können Düsen am Roboter Pflanzenschutzmittel präzise anwenden (in den Tests spritzen sie Wasser). Das kleine Gefährt steuert dann zentimetergenau jene Stelle auf der Wiese an und versprüht das Pflanzenschutzmittel nur auf die unerwünschten Ampferpflanzen. Alle gesammelten Daten speichern die Server im Fahrzeug. Landwirtinnen und Landwirte können so dokumentieren, dass sie alle regulatorischen Anforderungen einhalten – und erhalten detaillierte Informationen über ihre Fläche.

Der Roboter spritzt zentimetergenau. Während der Testläufe füllt Bastian Kolb-Grunder nur Wasser ein.

Fahrerlose Feldroboter-Flotte könnte bald Böden bearbeiten

Christian Schellenberger ist Projektleiter von 5G Kaiserslautern und erläutert: „Die heutige Ampferbekämpfung sieht so aus, dass Landwirte großflächig die ganze Fläche spritzen.“ Die gezielte Behandlung der Pflanze wäre günstiger und vor allem besser für die Umwelt. „Unser Ziel ist eine nachhaltige Landwirtschaft, bei der Dünge- und Pflanzenschutzmittel, aber auch Wasser sparsam und nur in dem individuell für die Pflanze gerade nötigen Umfang eingesetzt werden“, sagt Schellenberger. Weniger Pflanzenschutzmittel und Dünger bedeuten geringere Belastung für die Umwelt. Deshalb denken Schellenberger und sein Team in großen Dimensionen: „Wir wollen eines Tages mehrere Roboter und eine Drohne aussetzen und sie die Arbeit autonom machen lassen.“

Die Vision: Eine fahrerlose Flotte von Feldrobotern, verbunden über 5G, erhält morgens eine Aufgabe und hinterlässt am Nachmittag eine perfekt gepflegte Fläche. Das wäre heute schon theoretisch möglich – ist jedoch praktisch noch nicht erlaubt. Drohnen müssen einen Piloten oder eine Pilotin haben, und auch beim autonomen Fahren gibt es Einschränkungen. Deshalb stehen Bastian Kolb-Grunder und Christopher Hobelsberger weiter mit ihren Fernbedienungen am Feldrand.

Der Feldroboter aus der Pfalz

Die Drohne fotografiert aus der Luft, der Roboter vom Boden aus. Beide versenden ihre Bilder über das 5G-Netz.
Alle Daten laufen bei Christopher Hobelsberger im Fahrzeug zusammen. Auf der Ladefläche stehen Server und Netzwerktechnik.
Eine Künstliche Intelligenz versucht auf den Bildern diese Pflanze zu erkennen: Stumpfblättrigen Ampfer.
Der Feldroboter macht sich dann auf den Weg und bearbeitet einzelne Ampferpflanzen.
Projekteiter Christian Schellenberger kann somit Pflanzenschutzmittel und Dünger sparen – und die Umwelt schützen.

Das Projekt 5G Kaiserslautern erforscht viele Möglichkeiten der Technologie, gefördert im Rahmen des 5G-Innovationsprogramms des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Für die landwirtschaftlichen Tests nutzt das Team die Flächen des Hofguts Neumühle, das auch Nachwuchsbäuerinnen und -bauern ausbildet. Jochen Wiecha ist Leiter Digitalisierung auf dem Hofgut und überzeugt, dass 5G eine große Chance für die künftige Landwirtschaft ist. „Jedes Stückchen Boden ist anders. Wir können sehr viel Energie sparen, wenn wir Pflanzen direkt versorgen. Der Trend geht jedenfalls dorthin, die Einzelpflanze zu begutachten und zu betreuen“, sagt Wiecha. Was auf einem Riesenfeld bisher unmöglich schien, wird durch 5G und Künstliche Intelligenz wahr. Jedoch, räumt Wiecha ein, wüssten viele Landwirtinnen und Landwirte noch viel zu wenig über digitale Technologien. „Um Vorbehalte zu beseitigen, wollen wir auf dem Hofgut Neumühle verstärkt Grundlagenkurse anbieten.“

5G-Campusnetz garantiert Landwirten beste Bedingungen

Gegen den Einsatz von 5G dürften die Vorbehalte schnell verschwinden. Denn der Betrieb ist sicher. Das 5G-Netz im Fahrzeug der TU Kaiserslautern ist ein sogenanntes Campusnetz. Solche privaten Netze macht das 5G-Zeitalter erstmals möglich: Hochschulen oder Unternehmen können ihren eigenen Mobilfunk betreiben – sicher, abgeschirmt nach außen und auf ihre Bedürfnisse optimiert. Drohne und Roboter können aktuell mit starken 200 Megabit pro Sekunde ihre Bilder übertragen – ein Vielfaches von dem, was übliche private Internetanschlüsse leisten. Die nächsten Verbesserungen von 5G versprechen noch einmal ein Vielfaches davon. Das Campusnetz garantiert zudem eine besonders geringe Latenz, also Verzögerung. Die aufgenommenen Bilder können nahezu in Echtzeit übertragen und analysiert werden.

Um 5G betreiben zu können, haben die Forschenden eine eigene Funkfrequenz und außerdem eine Standortbescheinigung von der Bundesnetzagentur bekommen. Sie erlaubt ihnen, Mobilfunk rund um das Hofgut Neumühle zu betreiben. Würde das Team seine Tests zum Beispiel in den Harz oder nach Vorpommern verlagern, müsste es Testlizenzen für die Frequenz und neue Standortbescheinigungen beantragen. Bastian Kolb-Grunder und Christopher Hobelsberger würden dann das Transportfahrzeug mit 5G-Netz auf ein anderes Feld stellen – und ihrem Roboter bei der Arbeit im Grünen zuschauen.

Das Projekt LANDNETZ

In Sachsen erforscht ein weiteres Team den Einsatz von 5G in der Landwirtschaft. Das Projekt LANDNETZ nutzt auf dem Lehr- und Versuchsgut Köllitsch ein standortfestes 5G-Campusnetz sowie einen Autoanhänger mit 5G-Antennen, der über Richtfunk an das Campusnetz angebunden ist. LANDNETZ will vollständig portable 5G-Campusnetze – einschließlich eigener Server – künftig als Pkw-Anhänger auf weiteren landwirtschaftlichen Partnerbetrieben einsetzen. Das Projekt will unter anderem Feldroboter testen und Sensoren, die rund um die Uhr den Zustand von Pflanzen und Ackerboden erfassen. Gefördert wird LANDNETZ durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Mehr Informationen

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