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Technikfolgenabschätzung

Technikfolgenabschätzung: Wie beurteilt die Forschung 5G?

19.03.2021
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Der 5G-Mobilfunk bringt technische Fortschritte. Manche glauben, dass mögliche Risiken deshalb erneut untersucht werden müssen. Sie fordern eine umfassende Technikfolgenabschätzung. Was ist das? Und wie können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon heute 5G beurteilen, obwohl der Standard gerade erst eingeführt wird?

Was Technikfolgenabschätzung ist, wer sie durchführt und was erste Abschätzungen zu 5G sagen: Wir haben dazu Forschende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gefragt.

Was ist eigentlich Technikfolgenabschätzung (TA)? 

Eine Technikfolgenabschätzung schaut sich Chancen wie auch Risiken an. Sie fragt ganz offen: "Was bringt die Technik mit sich?" und im Gegensatz zur Risikobewertung nicht speziell: "Was könnte alles schiefgehen?"

Bei einer Technikfolgenabschätzung arbeiten für ein umfassendes Bild meistens Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen zusammen. Das Vorgehen ist "hochgradig interdisziplinär", sagt Armin Grunwald, einer der bekanntesten deutschen Technikfolgenabschätzer. Grunwald ist Doktor der Physik und Professor der Philosophie. An seinem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe sind unter anderen auch Psychologen und Juristen beschäftigt. Durch diesen Mix aus Perspektiven und Methoden gucken sich die Forschenden nicht nur die gesundheitlichen Auswirkungen auf Menschen und Natur an, sondern auch auf die Folgen für unser Alltagsleben, für die Wirtschaft sowie für das Rechts- und Wertesystem unserer Gesellschaft.

Grunwald ist wichtig, dass eine Abschätzung nie absolute Sicherheit bietet. "Wir Menschen wollen immer genau wissen, was auf uns zukommt", sagt Grunwald. "Unsere Zukunft ist aber nicht determiniert, also schon festgelegt, so wie die Sonnenfinsternis in 100 Jahren bereits festgelegt ist." Es gehe bei der Technikfolgenabschätzung darum, sich "mögliche Technikzukünfte" anzuschauen.

Wer erforscht Technikfolgen in Deutschland und der Welt? 

Das Karlsruher ITAS mit Armin Grunwald an der Spitze ist das führende Institut in Deutschland. Es betreibt zugleich das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), Grunwald ist auch dessen Leiter. Das TAB ist eigenständig, erhält aber ausschließlich Aufträge aus dem Bundestag. Abgeordnete aller Fraktionen einigen sich auf Themen, die das TAB untersuchen soll. Ziel der entstehenden Berichte ist es, Abgeordnete möglichst umfassend für ihre politischen Entscheidungen zu informieren. Die Untersuchungen werden online veröffentlicht.

Mit Technikfolgen beschäftigen sich noch weitere Institute. Sie sprechen auch von Technikforschung, Technikanalyse oder Technologiebewertung – die Grenzen sind fließend. Zur Technikforschung beim Mobilfunk tragen seit Jahrzehnten auch weitere staatliche Institutionen bei, etwa das Bundesamt für Strahlenschutz oder das Umweltbundesamt. Beide sprechen hierbei aber nicht im engeren Sinne von Technikfolgenabschätzung, auch wenn sie mit ihren Erkenntnissen dazu beitragen.

Weil Forschung nicht an Landesgrenzen endet, tauschen Forschende international ihr Wissen aus. So gibt es ein Expertennetzwerk im deutschsprachigen Raum und den weltweiten Verbund Global TA. Mitglieder sind hier auch die Fachinstitute der Nachbarländer von Deutschland, etwa ein Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, TA-Swiss und das Rathenau-Institut aus den Niederlanden. In Frankreich arbeitet die Gesundheitsschutz-Behörde ANSES in diesem Bereich.

Wie arbeitet die Wissenschaft, um Technikfolgen von 5G abzuschätzen? 

Diese Frage kann Karen Kastenhofer aus erster Hand beantworten. Sie beschäftigte sich 2019 im Auftrag des österreichischen Parlaments mit 5G-Mobilfunk und Gesundheit. Zwar war 5G damals auch in Österreich erst im Aufbau. "Aber wir haben zahlreiche Beurteilungen durch internationale Expertengremien zum Mobilfunk aus den vergangenen Jahren – und die haben wir ergänzt um wissenschaftliche Beiträge speziell zu 5G", erzählt Kastenhofer, die an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften arbeitet. Der neue Mobilfunkstandard sei kein "ganz neues Ding", sondern eine Weiterentwicklung. Kastenhofer konnte so auch auf vermeintlich alte Erkenntnisse zurückgreifen.

Sie sieht besonders den Begriff 5G als problematisch an – denn 5G beschreibe unterschiedliche Ausführungen einer Technologie, je nachdem wer den Begriff verwendet. "Für uns wäre es hilfreich, wenn klarer kommuniziert wird, was 5G ist und was nicht, wofür wir es brauchen und wofür auch nicht", sagt Kastenhofer. Die Werbung führe hier zu einem Zerrbild und stifte Verwirrung. Die Wissenschaft könne das Thema so kaum eingrenzen: "Es ist schwer, in die Zukunft zu schauen, wenn es in der öffentlichen Diskussion kaum klare Zukunftsszenarien für 5G gibt."

Welche Kenntnisse über 5G-Technikfolgen gibt es? 

Unter dem Strich kommt Karen Kastenhofer zu dem Fazit: Kurzfristige akute Gesundheitseffekte gelten für den etablierten Mobilfunk derzeit als unwahrscheinlich, wenn Grenzwerte und Abstandsregeln eingehalten werden. Risiken können dennoch nicht ausgeschlossen werden und gezielte Studien zu Szenarien der neuen Mobilfunkgeneration stünden noch aus. "Wir können keine abschließende Antwort liefern – so ist es immer bei komplexen Zusammenhängen und lückenhaftem Informationsstand", sagt Kastenhofer. "Umso wichtiger sind öffentlicher Dialog, transparente Prozesse und begleitende Risikoforschung."

Dass eine Abschätzung stets ein Zwischenergebnis ist, bekräftigt auch der Schweizer Technikforscher und Mobilfunkexperte Gregor Dürrenberger: "Technikfolgenabschätzung ist ein Prozess und keine abschließende Prüfung. In dieser Perspektive zeigt sich, dass 5G viel Ähnlichkeit mit 4G hat, etwa bei der Funkschnittstelle, aber eine aus gesundheitlicher Sicht verbesserte Technologie ist." Dürrenberger hat als Mitglied der Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung für die Schweizer Regierung Ende 2019 selbst einen Bericht zu 5G mit veröffentlicht.

Dürrenberger sagt, Technikfolgenabschätzung beim Mobilfunk könne nur Begleitforschung sein, im Idealfall parallel zur Technikentwicklung: "TA wird häufig als eine Art TÜV-Prozess verstanden – etwas auf Herz und Nieren prüfen und dann freigeben. Das ist im Mobilfunk wenig hilfreich. Das zu prüfende Produkt ändert sich schneller, als jede TA arbeiten könnte."

Prof. Dr. Armin Grunwald, Karen Kastenhofer und Dr. Gregor Dürrenberger (v.l.)

Wie geht es in der 5G-Forschung weiter? 

Weltweit arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, den Mobilfunk noch besser zu verstehen. In Deutschland bewertet das Bundesamt für Strahlenschutz laufend die Ergebnisse neuer Studien – und forscht selbst. So untersucht das BfS etwa die Auswirkungen der Zentimeter- und Millimeterwellen auf menschliche Zellen. Denn für 5G kommen künftig auch Frequenzen über 20 Gigahertz infrage. In öffentlichen Mobilfunknetzen verwenden die Netzbetreiber heute für 5G Frequenzen in einem Bereich, den 4G schon seit Jahren nutzt.

Zugleich erforscht Fraunhofer im Projekt UTAMO für das Umweltbundesamt die möglichen Auswirkungen des Mobilfunks auf die Umwelt – etwa durch den Energieverbrauch. Mehrere Bundesministerien fördern die Forschung an 5G-Anwendungen, etwa im Verkehr, in der Landwirtschaft oder der Medizin.

Das TAB wurde aktuell nicht vom Bundestag beauftragt, 5G zu untersuchen. Armin Grunwald bremst jedoch auch die Erwartungen: "Einen Unbedenklichkeitsnachweis können wir für keine Technik bieten. Weil wir heute nicht wissen, was wir noch nicht wissen." Wer auf dieser Grundlage bestimmte Technologien verbieten wolle, müsse alles verbieten.

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