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Der Lokführer

Sein Zug fährt ferngesteuert über 5G – mit Video

01.03.2023
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Lokführer Oliver Brückom lehnt sich zurück: Seine Eisenbahn ist mit dem 5G-Netz verbunden, ein Kollege in weiter Entfernung übernimmt die Steuerung. 5G ermöglicht so den automatisierten Zugverkehr – und könnte helfen, Personalknappheit und die Verkehrswende zu bewältigen.

Im Bahnhof von Schlettau im Erzgebirge steht ein schwarzer Zug und pfeift. „War das der Volker oder einer von euch?“, fragt Oliver Brückom und schaut lächelnd zu einer Gruppe Männer in orangefarbenen Warnwesten. Brückom ist Lokführer, aber im Führerstand hat er heute nichts zu tun. Denn der Zug rollt ohne seine Hilfe, ferngesteuert.

Anfahren, bremsen und, ja, auch pfeifen wird Volker Grube. Der steht bei Temperaturen um den Gefrierpunkt aber nicht draußen mit einer Fernbedienung. Grube sitzt in einem warmen Bürogebäude im rund 250 Kilometer entfernten Braunschweig. Den Testzug namens Lucy kann er in Echtzeit steuern, auf drei Monitoren sieht er alle Daten von Lucy und eine Live-Videoübertragung von der Strecke. Lucy ist mit dem 5G-Mobilfunknetz verbunden. Direkt neben dem Bahnhofsgebäude steht ein neu errichteter 5G-Funkmast.

Oliver Brückom bleibt außerhalb des Führerstandes. Volker Grube (oben auf dem Bildschirm) übernimmt die Kontrolle.

Automatisierte Züge entlasten Lokführer und ermöglichen mehr Verkehr

Brückom ist Eisenbahner aus Leidenschaft, aber Standardaufgaben wie das Rangieren würde er gerne einem Computer überlassen. Seine geliebte Eisenbahn könne davon sogar sehr profitieren, sagt Brückom. „Alle wollen mehr Verkehr auf die Schiene bringen, aber das gelingt nur, wenn die alte Eisenbahn sich ändert.“ Ein digital gesteuerter Zugbetrieb kann die Kapazität erhöhen – und mehr Verkehr auf schon heute stark ausgelastete Schienen bringen.

Oliver Brückom blickt abwechselnd auf die Strecke und auf die Videokonferenz mit Volker Grube. „Wir sehen hier vielleicht die Zukunft der Eisenbahn“, sagt er. Um das zu erläutern, gibt Brückom einen Einblick in seine Gegenwart. Er fährt selbst Züge und sorgt als Chef der UEF Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft für einen sicheren Eisenbahnbetrieb, zum Beispiel für Museumsbahnen, aber auch für den Güterverkehr. Dabei gibt es zwei Probleme: Es fehlen Triebfahrzeugführerinnen und -führer. Und die wenigen Frauen und Männer sind häufig mit ermüdenden nicht wertschöpfenden Tätigkeiten beschäftigt. „Man verbringt in diesem Beruf viele Stunden mit Warten und mit Rangierfahrten“, erläutert Brückom. „Und es gibt Kollegen, die den ganzen Tag Züge in die Werkstatt fahren oder dorthin, wo die Toiletten geleert werden.“

Sehr alt trifft neu: Formsignale (im Vordergrund) sind seit dem 19. Jahrhundert im Einsatz. Zwischen Zug und Gebäude ist der neue 5G-Mobilfunkmast erkennbar.

Erzgebirge ist Testfeld für digitale Bahntechnologie

Pause hat Oliver Brückom heute nicht, es ist schließlich noch ein Testbetrieb. Auch wenn sein Kollege fährt, muss Brückom als Testleiter vor Ort aufpassen und bei technischen Problemen eingreifen. Bewegt sich der Zug, halten er oder andere Lokführer-Kollegen einen Not-Aus-Schalter in der Hand. Der Zug rollt außerdem nur wenige Stundenkilometer schnell in einem Abschnitt ohne regulären Zugverkehr. Die Gleise liegen auf dem Smart Rail Connectivity Campus, einer Teststrecke für digitale Bahntechnologie im Erzgebirge. Hier testen viele Partner verschiedene Szenarien:

Digitale Schiene und 5G-Mobilfunk

Die Digitalisierung des Bahnverkehrs ist ein riesiges Vorhaben. Dazu gehören:

ETCS: Beim europaweit einheitlichen System zur Zugbeeinflussung übermitteln Transponder zwischen den Schienen, sogenannte Balisen, Informationen an den Zug. Zudem hält der Zug eine Funkverbindung zum Stellwerk. So braucht es an der Strecke keine Lichtsignale mehr. ETCS steht für European Train Control System. Es ermöglicht 20 % mehr Züge auf dem vorhandenen Netz und ist eine Grundlage für automatisiertes Fahren (ATO).

ATO: Bei der Automatic Train Operation übernimmt der Rechner im Fahrzeug bestimmte Aufgaben des Lokführers, etwa bremsen und beschleunigen. In Zukunft kann Bilderkennung hinzukommen: Der Zug erkennt über Kameras und Sensoren seine Strecke und Hindernisse – noch präziser, als es ein Mensch mit seinen Augen kann.

RTO: Bei der Remote Train Operation, Zugfernsteuerung, ist kein Lokführer mehr im Zug. Die mögliche Anwendung: Ein Zug fährt automatisiert – und bei Bedarf schaltet sich ein Mensch als Fahrer aus der Ferne hinzu.

FRMCS: Dies ist der Name des künftigen Bahnfunks. Er baut auf dem 5G-Standard auf, während der jetzige Bahnfunk GSM-R noch auf 2G aufbaut. FRMCS (Future Railway Mobile Communication System) bietet eine leistungsfähige Datenverbindung und ermöglicht damit die kommenden Generationen von ETCS und ATO.

Auf der Teststrecke im Erzgebirge werden auch die oben genannten Technologien, etwa FRMCS, ETCS und ATO erprobt. Die Bildergalerie gibt einen Einblick:

Testfahrt im Erzgebirge

Ein Mitarbeiter legt sogenannte Balisen aus. Sie übermitteln Informationen an Züge, die darüberfahren – zum Beispiel, dass der folgende Abschnitt von einem anderen Zug belegt ist.
Testzug Lucy hat neben 5G auch das moderne Zugsicherungssystem ETCS an Bord. Erste Strecken in Deutschland kommen schon ohne klassische Signale aus.
Oben auf dem Dach des Zuges sind weitere Sensoren angebracht. Sie erfassen die Umgebung …
... sodass eine Bilderkennung die Strecke (blau markiert) und Personen im Gleis (rot umrandet) identifizieren kann.

Bei der Testfahrt im Erzgebirge erprobt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt gemeinsam mit dem Unternehmen Thales den ferngesteuerten Zugverkehr, gefördert vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) im Rahmen des 5G-Reallabors. „Die Zukunft gehört dem automatisierten Zugbetrieb“, sagt Projektleiter Niels Brandenburger. „Aber man kann nur automatisieren, wenn es eine Lösung für den Störfall gibt. Und diese Lösung kann die Fernsteuerung über das 5G-Netz sein.“

Ein Dutzend 5G-Masten entsteht an der Teststrecke

Hinter den Versuchen steckt ein enormer Aufwand für die Infrastruktur. Projektpartner Vodafone errichtet entlang der Strecke zwischen Annaberg-Buchholz und Schwarzenberg etwa ein Dutzend neuer 5G-Mobilfunkstandorte. Jeder Funkmast benötigt ein Grundstück, einen Stromanschluss und Glasfaser. „Wir sind ständig auf der Suche nach Lösungen“, sagt Ingo Willimowski von Vodafone, auf dessen Visitenkarte passenderweise „Lösungsarchitekt“ steht.

Ingo Willimowski von Vodafone (links) und Tobias Melzer von Thales prüfen die 5G-Verbindung des Zuges.

Willimowski und seine Kolleginnen und Kollegen vermitteln zwischen Ämtern, Projektbeteiligten, Vermieterinnen und Vermietern, Energieversorgern und mehreren Unternehmen, die in der Region Glasfaser anbieten – darunter auch die Deutsche Bahn. Willimowskis Vorteil: Er stammt aus einem Ort ganz in der Nähe und verfolgt die Entwicklungen genau. „2019 herrschte noch eine große Skepsis gegenüber 5G. Heute sind die Menschen aufgeschlossener, weil sich was in der Region tut.“ Nicht nur dem Testzug Lucy hilft das wachsende 5G-Netz, sondern auch allen Bürgerinnen und Bürgern, die nun besonders schnellen Mobilfunk erhalten.

Schauen Sie sich den 5G-Test mit Oliver Brückom in unserer Videoserie „Mensch & Maschine“ an:

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Nur wenige Erfindungen haben die Lebensbedingungen der Menschen so sehr positiv verändert wie die Eisenbahn. Zeit, sie für die Zukunft umzurüsten. Dabei unterstützt Oliver Brückom – und der 5G-Mobilfunk.

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