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Smarter Weinberg

Der Weinanbau von morgen setzt auf 5G

29.11.2022
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Wie digitalisiert man ein Jahrtausende altes Handwerk? Das Projekt „Smarter Weinberg“ hat sich ebendies vorgenommen und entwickelt an der Mosel 5G-basierte Anwendungen für Winzerinnen und Winzer.

Eine kleine Gruppe von Menschen steht auf einem Pfad zwischen den Weinbergterrassen entlang der Mosel und beobachtet, wie eine Drohne abhebt. Leise surrend steigt sie immer weiter auf, bis sie den ganzen Berg im Blick hat. Ihre beiden Kameras werden vom Piloten in Position gebracht. Auch wenn die einzigartige Kulisse aus grünen Weinhängen dazu einlädt, entsteht in diesem Moment kein Gruppenfoto. Stattdessen nimmt die Drohne den Weinberg selbst ins Visier und sammelt mit ihren Aufnahmen wichtige Daten zu seiner Beschaffenheit und den einzelnen Weinstöcken.

Ihren Erkundungsflug macht die Drohne im Rahmen des Forschungsprojekts „Smarter Weinberg“: Fachleute aus Wissenschaft, Weinbau, Industrie und Verwaltung arbeiten gemeinsam daran, mit Robotik, Künstlicher Intelligenz und 5G-Mobilfunk den Weinbau zu digitalisieren. Dabei stehen vor allem die immer wiederkehrenden Arbeiten, wie zum Beispiel beim Pflanzenschutz, der Entlaubung und Bodenbearbeitung, im Fokus. Gerade in den Anbaugebieten entlang der Mosel, wo sich die steilsten Weinberge Europas befinden, sind diese Arbeiten zeitaufwändig und oft auch gefährlich. Zukünftig sollen sie von 5G-vernetzten Drohnen und Robotern übernommen werden.

Die Moselschleife bei Bremm: ein beliebtes Ausflugsziel, an dem bald 5G-basierte Anwendungen erprobt werden sollen.

Daten liefern die Grundlage für eine (teil)automatisierte Bewirtschaftung

„Durch die Technologisierung helfen wir den Winzerinnen und Winzern, ihre Arbeit im Weinberg zu erleichtern, damit sie wirtschaftlich bleibt“, sagt die Leiterin des Projekts, Prof. Maria Wimmer vom Institut für Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik der Universität Koblenz-Landau. In der Umsetzung soll der smarte Weinberg einmal so funktionieren: Drohnen und Sensoren überwachen laufend den Zustand der Weinstöcke, zeichnen Temperatur, Sonneneinstrahlung und Niederschlag sowie Boden- und Luftfeuchtigkeit auf. Die Daten werden über das 5G-Netz an eine zentrale Plattform gesendet, von einer Künstlichen Intelligenz aufbereitet und über eine Software-Oberfläche den Winzerinnen und Winzern zur Verfügung gestellt.

Neben Updates zu den Weinbergen bündelt dieses Dashboard weitere wichtige Aspekte des Weinanbaus, wie Nick Theisen erklärt, der derzeit in der Arbeitsgruppe „Aktives Sehen“ an der Universität die Daten entsprechend vorbereitet und die Künstliche Intelligenz mitentwickelt: „Zum Beispiel soll dort auch die Betriebsplanung einsehbar sein, also wer wo und wann arbeitet. Sowohl die Winzerinnen und Winzer als auch die Saisonkräfte können darüber ihre Informationen beziehen.“ Zudem meldet das System, wenn zum Beispiel Pflanzen erkrankt sind, eine Entlaubung oder der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln notwendig ist. Die dafür zuständigen Arbeitsgeräte sollen die Winzerinnen und Winzer dann von ihrer Betriebsstätte aus steuern können: Die Drohne fliegt aus, bringt Pflanzenschutzmittel aus, ein Roboter fährt zwischen den Weinstöcken hin und her und schneidet Blätter ab oder lockert den Boden auf.

Leitet das Projekt „Smarter Weinberg“: Prof. Maria Wimmer von der Universität Koblenz-Landau.

Warum 5G essenziell für den smarten Weinberg ist

Für die Datenübertragung soll das öffentliche 5G-Mobilfunknetz genutzt werden. Aktuell wird daran gearbeitet, die Anforderungen dafür zu erheben und sicherzustellen, dass die Netzabdeckung ausreichend ist. „5G ermöglicht es uns in diesem Projekt, die Daten, die hier im Weinberg durch die Sensorik generiert werden, dem Winzer oder der Winzerin schnell zur Verfügung zu stellen, damit er oder sie auch schnell darauf reagieren kann“, erläutert Axel König, Geschäftsführer des Koblenzer Start-ups aeroDCS, das die Drohnentechnik für das Projekt entwickelt.

Der neue Mobilfunkstandard bietet zum einen hohe Bandbreiten, um die großen Datenmengen, die am Weinberg generiert werden, zuverlässig und schnell zu übermitteln. Zum anderen garantiert 5G die präzise und sichere Steuerung der Arbeitsgeräte – ohne dass sie eigene schwere Computer tragen müssen: Die Drohnen werden bereits einiges an Sprühmittel an Bord haben und auch die Bodenroboter können keine Extralast tragen, wenn sie in den Steillagen unterwegs sind. Deshalb soll die Rechenleistung, die für ihre Steuerung nötig ist, ausgelagert werden, wie Prof. Maria Wimmer erklärt: „Die Weinberge sind in Bremm und Zell, aber die Rechenintelligenz liegt in 75 Kilometer Entfernung in unserem Rechenzentrum an der Universität.“ Die Kamera- und Sensordaten der Geräte sollen daher über 5G an das Rechenzentrum übertragen, dort verarbeitet und anschließend als Steuerungsbefehle zurückgeschickt werden.

Möglich sei auch der Einsatz von Edge Computing. „Es zeichnet sich mehr und mehr ab, dass wir eine lokale Intelligenz für die Echtzeit-Verarbeitung brauchen“, ergänzt Wimmer. Dann würde die Datenverarbeitung nicht im Rechenzentrum in Koblenz, sondern direkt am Weinberg – also am Rande (engl. „Edge“) des Netzwerks – stattfinden. Das bringt einen deutlichen Geschwindigkeitsvorteil: In Kombination mit einer Übertragung über 5G können Steuerungsbefehle so in Millisekunden ausgeführt werden. Das ist insbesondere wichtig, wenn Arbeitsgeräte wie Drohnen oder Roboter außerhalb des Sichtfelds der Winzerinnen und Winzer eingesetzt werden. „Da erhoffen wir uns auch noch viel Aufschluss darüber, wie 5G-Kommunikation effektiv genutzt werden kann“, so Wimmer.

Lösungen für eine nachhaltige und umweltschonende Landwirtschaft

Die am smarten Weinberg entwickelten Anwendungen zeigen, welche Möglichkeiten 5G in der Landwirtschaft eröffnet. Nicht nur können zukünftig zeitintensive und mühsame Arbeiten durch vernetzte Geräte übernommen werden, ihr Einsatz kann auch dazu führen, dass Ressourcen effektiver eingesetzt und gespart werden – was auch der Umwelt zugutekommt.

Zum Beispiel werden Pflanzenschutzmittel bisher häufig großflächig mit einem Hubschrauber am Weinberg ausgebracht. „Mit der Drohne können wir die Pflanzen viel zielgerichteter bewirtschaften und brauchen auch viel weniger Pflanzenschutzmittel“, sagt Axel König. „Deswegen ist es in diesem Bereich sehr, sehr wichtig, dass solche Geräte eingesetzt werden. Sie können zudem für eine größere Sicherheit, bessere Gesundheit und einen besseren Arbeitsschutz sorgen“, ergänzt Prof. Maria Wimmer.

Erkundungsflug an der Mosel

Prof. Maria Wimmer (links) im Gespräch mit der am Projekt beteiligten Winzerfamilie Franzen sowie Axel König (Mitte) und Lothar Teuchler (rechts) von aeroDCS.
Mit regelmäßigen Erkundungsflügen kartografieren die Drohnen von aeroDCS den Weinberg.
So entsteht ein 3-D-Modell, das genau zeigt, wie der Weinberg beschaffen ist und wo die einzelnen Rebstöcke stehen.

Die Zukunft des Weinanbaus gestalten

Anfang 2022 wurde in Bremm und Zell an der Mosel mit der Umsetzung begonnen. Derzeit werden vor allem Anforderungen erhoben sowie die Weinberge, die als Testgebiete dienen sollen, kartografiert und die Technologien entwickelt. All das geschieht in enger Zusammenarbeit mit zwei Winzerfamilien aus der Umgebung. Sie bewirtschaften Weinberge, die zu den steilsten in Europa gehören. Die Fachleute erhoffen sich daher, dass die im Projekt gesammelten Erkenntnisse sich leicht auf andere Weinanbaugebiete übertragen lassen. „Das Projekt ist zukunftsorientiert und wir können hier viele grundlegende Dinge definieren. Denn das Ziel ist es ja, dass man die Anwendungen, die wir jetzt generieren, später auch in der Praxis einsetzen kann“, betont Axel König.

Ein weiterer Aspekt ist für die Projektbeteiligten von großer Bedeutung: der Erhalt der Kulturlandschaft an der Mosel. Denn immer mehr Winzerinnen und Winzer geben ihre Flächen entlang des Flusses aufgrund der schwierigen Arbeitsbedingungen auf. „Im Landkreis Cochem-Zell gibt es in den letzten paar Jahren einen Rückgang von über 10 Prozent. Für den Landkreis ist aber genau diese einzigartige Kulturlandschaft sehr wichtig, weil sie Menschen anzieht, die in der Region Urlaub machen und die Landschaft genießen wollen“, erklärt Wimmer. „Wir hoffen, dass wir den Winzerinnen und Winzern smarte Lösungen bereitstellen können, sodass sie effizienter und effektiver arbeiten und ihre Weinberge weiterhin betreiben können. So wollen wir am Ende auch einen Beitrag leisten, diese Kulturlandschaft zu erhalten.“

Das Projekt „Smarter Weinberg“

5G-basierte Anwendungen in den steilsten Weinbergen Europas erproben, um zukünftig die Arbeit der Winzerinnen und Winzer zu erleichtern – das ist das Ziel des Projekts „Smarter Weinberg“. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr im Rahmen des 5G-Innovationswettbewerbs gefördert. Zum Konsortium unter der Führung der Arbeitsgruppen Verwaltungsinformatik und „Aktives Sehen“ der Universität Koblenz-Landau gehören auch die Kreisverwaltung Cochem-Zell und das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Mosel sowie die Unternehmen Clemens Technologies, V&R Vision & Robotics und aeroDCS. Die Weinberge, in denen die Anwendungen getestet werden, sowie die nötige Winzerexpertise stellen zwei Weingüter aus der Region: F. J. Weis aus Zell und Kilian und Angelina Franzen aus Bremm an der Mosel. Mehr Informationen

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