In Österreich bewertet der Wissenschaftliche Beirat Funk, was die Forschung über Mobilfunk weiß. Im Interview wirft der Vorsitzende, Prof. Gerald Haidinger, einen Blick auf die Einführung von 5G – und was immer mehr Funkmasten für unsere Gesundheit bedeuten.
Welche Erkenntnisse hat die internationale Forschung zum Mobilfunk? Und wie blickt sie auf den neuen 5G-Standard? Im österreichischen Wissenschaftlichen Beirat Funk (WBF) suchen unabhängige Fachleute aus Medizin, Technik und Psychologie nach Antworten. Im Jahresrhythmus werten sie aktuelle Studien aus. Ao. Univ.-Prof. Dr. Gerald Haidinger, der WBF-Vorsitzende, ist Sozialmediziner an der Medizinischen Universität Wien. Der WBF berät das für Mobilfunk zuständige Österreichische Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, liefert aber für Deutschland ebenso spannende Erkenntnisse – denn die Technologie ist die gleiche.
Herr Professor Haidinger, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Wirkung von Mobilfunk. Genauer: Mit der Frage, wie elektromagnetische Felder auf den Menschen wirken. Was ändert sich durch die 5G-Einführung?
Gerald Haidinger: Aus medizinischer Sicht nicht viel. Was sich ändert, sind technische Dinge: ein anderes Übertragungsprotokoll, eine neue Antennentechnologie. 5G verwendet aber zum großen Teil dieselben Funkfrequenzen wie frühere Mobilfunkstandards. Wir wissen seit Jahrzehnten, dass diese Strahlung, also die elektromagnetischen Wellen des Mobilfunks, in unserem Körper Wärme erzeugt. Diese Wirkung ist aber gering, die Wärme wird über den Kreislauf abgeleitet – unser Körper nimmt davon keinen Schaden. Die Menschen interessiert aber meist nur: Ist es gefährlich oder ungefährlich? Die Wissenschaft wird so eine Frage nie abschließend beantworten, für keine Technologie. Wir können auf Basis aller bisherigen Studien nur sagen: Mobilfunk ist – innerhalb der Grenzwerte – wahrscheinlich ungefährlich, auch die neue Mobilfunkgeneration 5G.
Im „Konsensus-Beschluss“ des Wissenschaftlichen Beirats Funk heißt es, 5G könne zu einer „Expositionsreduktion“ führen – also weniger Strahlung, der wir Menschen ausgesetzt sind. Wie kommt das?
Wir werden künftig mehr Antennen haben, die aber zielgerichteter und weniger stark strahlen. Die neueste Generation der Antennen verwendet gerichtete Funkwellen – die elektromagnetischen Felder werden also von der Antenne gezielt auf den Endverbraucher ausgerichtet. Damit verringert sich die Strahlung für die Umstehenden, die gerade nicht ihr Handy verwenden (siehe Beamforming, Anm. der Redaktion).
Manche Bürgerinnen und Bürger befürchten, durch mehr Funkmasten würde die Belastung durch Strahlung steigen. Ist das korrekt?
Das ist ein falscher Eindruck. Obwohl es mehr Funkmasten gibt, wird die Strahlenbelastung wahrscheinlich – verglichen mit der Zeit vor 10 oder 15 Jahren – abnehmen. Die Technologie und die Endgeräte entwickeln sich weiter. Was wir vermutlich sehen werden, ist eine Zunahme kleinerer Antennen, Kleinzellen, die an Orten mit vielen Nutzenden das Netz stärken. Das heißt aber nicht automatisch, dass wir mehr Strahlung ausgesetzt sind.
Der Handymast auf dem Nachbargrundstück ist vielleicht nicht schön anzuschauen. Aber er sorgt dafür, dass das eigene Handy guten Empfang hat und dadurch nur sehr wenig strahlt.
Prof. Gerald Haidinger
Es sind also nicht die Funkmasten, von denen wir eine hohe Strahlendosis bekommen?
Die Antennen stehen hoch oben auf Hausdächern oder auf Masten. Aus der Physik wissen wir, dass bei der elektromagnetischen Welle das Abstandsquadratsgesetz gilt. Mit größer werdendem Abstand von der Antenne nimmt die Dosisleistung stark ab und damit auch die Strahlenbelastung. Auf der anderen Seite führen wir ständig einen Sender und Empfänger direkt an unserem Körper: unser Mobiltelefon. Es kommt vielmehr darauf an, dass wir diese Geräte vernünftig verwenden. Die allermeisten kennen das Prinzip des faradayschen Käfigs. In einer solchen geschlossenen (Metall-)Umgebung ist es nicht sinnvoll, ein Handy zu verwenden, also in der U-Bahn, im Bus, im Auto oder im Aufzug. Sie werden hier in Wien nur wenige Orte mit einer höheren Strahlenbelastung finden als in der U-Bahn – dort hat jeder das Handy in der Hand und es kann schon einmal vorkommen, dass die Grenzwerte erreicht werden. Diese Geräte müssen viel leisten, also strahlen, um kontinuierlich die Verbindung zu halten und es steigt nicht nur die Belastung des Akkus, sondern auch die Strahlenbelastung für die umstehenden Personen.
Sie sind Präventivmediziner. Was raten Sie einem Bürger, dem ein Haus neben einem Funkmasten angeboten wird – kaufen oder präventiv lieber nicht?
Kaufen Sie. Schon wenige Meter von der Antenne entfernt ist die Strahlung unbedenklich. Der Handymast auf dem Nachbargrundstück ist vielleicht nicht schön anzuschauen. Aber er sorgt dafür, dass das eigene Handy guten Empfang hat und dadurch nur sehr wenig strahlt. Und die Antennen auf dem eigenen Dach sind noch viel unbedenklicher, weil sie vom Haus weg in die Umgebung gerichtet sind. Einziger Nachteil ist, dass die Bewohner dann selbst nicht vom guten Empfang profitieren.
In Deutschland verweisen Behörden stets auf die Grenzwerte, die uns schützen. Wie sieht es mit Grenzwerten in Österreich aus – sind sie strenger? Und wie wird ihre schützende Wirkung ermittelt?
Die gesetzlichen Grenzwerte haben den gleichen Ursprung, egal ob in Österreich, in Deutschland oder anderen Teilen Westeuropas. Sie gehen zurück auf eine internationale Kommission namens ICNIRP. Deren Mitglieder bewerten auf Basis der aktuellen Forschung, ab wann die Strahlung auf bestimmten Frequenzen gesundheitsschädlich wirken würde. Von diesem Wert wird ein Fünfzigstel genommen – und das ist der gesetzliche Grenzwert. Aber selbst dieser Wert wird in der Praxis, was regelmäßig in Studien untersucht wird, nicht ausgeschöpft.
Wie unabhängig ist ICNIRP?
Die Mitglieder dieser Kommission sind gestandene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die unabhängig von Interessen auf wissenschaftliche Evidenz schauen. Ich weiß auch, dass es regelmäßig Verschwörungsmythen gibt. Da schreibt dann einer in einem Social-Media-Kanal: „Person X ist gekauft“, und das verbreitet sich weiter. Aber mal ehrlich, die Mitglieder von ICNIRP arbeiten seit Jahrzehnten in der Wissenschaft. Die sind hoch angesehen und haben es nicht nötig, sich von Interessen beeinflussen zu lassen.
Nun gibt es Menschen, die klagen über Schlafprobleme oder Kopfschmerzen und machen dafür den Mobilfunk verantwortlich. Wie bewerten Sie das aus medizinischer Sicht?
Erst vor kurzem ist wieder eine Studie über Schlafqualität und Mobilfunk erschienen, mit einem Handy am Nachtkästchen, von dem die Probandinnen und Probanden nicht gewusst haben, ob es eingeschaltet ist oder nicht. Fazit: keine Beeinflussung der Schlafqualität. Die wissenschaftlichen Studien zur Elektrosensibilität kommen alle zu dem Schluss, dass die Beschwerden nicht durch Mobilfunk hervorgerufen wurden. Diese sogenannten Befindlichkeitsbeschwerden können aber durch die Angst der Personen vor der Mobilfunkstrahlung hervorgerufen werden. Angst kann Menschen krank machen. In der Medizin ist die krankmachende Wirkung von Angst sehr gut bekannt. Wir müssen das ernst nehmen. Die Medizin muss sich auch um diese Menschen kümmern und dafür sorgen, dass sie sich weniger ängstigen – etwa durch bessere Information.
Wie kann die aussehen?
Das Problem ist: Wir haben kein Sinnesorgan für diese Art von Strahlung. Den Mobilfunk spürt man nicht. Anders als beim Sonnenlicht merken wir nicht, ob sie stark oder schwach ist. Es kommt also rein auf die Menschen und deren Wissen darüber an, ob sie sich ängstigen oder nicht. Ich denke, die Hersteller der Geräte und die Mobilfunkbetreiber sollten viel mehr und offen mit der Bevölkerung kommunizieren. Der Bau von Funkmasten muss ein transparenter Vorgang sein. Sie werden niemals alle Menschen erreichen – aber man sollte immer den Konsens suchen.
Wie hat die Wissenschaft bislang das Phänomen Elektrosensibilität untersucht?
Es gibt einige Studien und eine ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Die Forschungsgruppe hat elektrosensitive Personen in einen Raum geschickt und dort sollten sie fühlen, ob ein Handy eingeschaltet ist. Sie sollten auch ihre Hand auf die Abdeckungen der Handys legen, die teils ein- und teils ausgeschaltet waren, ohne dass sie die Geräte sehen konnten. Es hat sich gezeigt, dass die Menschen völlig zufällig antworteten, ob ein Gerät eingeschaltet war oder nicht.
Die Beschwerden sind aber da – zum Teil sogar objektiv messbar. Wie können Sie als Mediziner den Betroffenen helfen?
Betroffene sollten zu Hause ihr WLAN abdrehen, keine Bluetooth-Kopfhörer und kein Schnurlos-Telefon verwenden, ihr Mobiltelefon nicht am Körper tragen und es nachts ganz ausschalten – einfach um beruhigt schlafen zu können. Wenn sich jemand ohne Handy besser fühlt, ja, dann soll er es ausschalten. Ich bin mir aufgrund der wissenschaftlichen Untersuchungen aber sicher, dass Menschen elektromagnetische Felder nicht spüren können. Ihre realen Beschwerden sind psychosomatischer Natur. Aber man darf dies nicht als Unsinn abtun. Die Menschen leiden und wenn ihnen das Ausschalten hilft, ist es doch gut.
Ich möchte nicht bösartig klingen, aber ich denke, selbst eine elektrosensible Person ist froh, bei Bedarf einen Notruf tätigen zu können.
Prof. Gerald Haidinger
Ausschalten geht bei Funkmasten nicht und es gibt immer weniger Funklöcher.
Ich bin absolut dafür, die Strahlenbelastung möglichst gering zu halten. Bei neuen Funkeinrichtungen wird gemessen, ob die Grenzwerte eingehalten werden, wirklich überall. Besorgte Bürgerinnen und Bürger können sich auch an die zuständigen Behörden wenden. In Österreich ist kein einziger Fall bekannt, in dem die Grenzwerte außerhalb des Sicherheitsabstandes auch nur annähernd überschritten worden wären. Aber Mobilfunk sollte überall funktionieren. Ich möchte nicht bösartig klingen, aber ich denke, selbst eine elektrosensible Person ist froh, bei Bedarf einen Notruf tätigen zu können. Hier in Österreich sind Bergsteigen und Skifahren sehr wichtig. Deshalb gibt es da kaum Diskussionen: Selbst in den Bergen braucht es flächendeckend Empfang, damit die Bergrettung funktioniert.
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