Prof. Martin Röösli untersucht seit 20 Jahren die Auswirkungen des Mobilfunks auf unsere Gesundheit. Die Expertise des Schweizers ist unter anderem gefragt, wenn es um Grenzwerte geht. Wie Strahlung wirkt, wer Grenzwerte festlegt und weshalb Röösli froh ist, neben einem Mobilfunkmast zu wohnen, erläutert er im Interview.
Es gibt den Spruch: „Ich habe ein ganz heißes Ohr vom Telefonieren.” Sind daran die elektromagnetischen Felder schuld?
Martin Röösli: Nein, nur zu einem ganz kleinen Teil. Es gibt zwei maßgebliche Wärmequellen: Der Akku wird warm. Zudem isolieren wir unser Ohr mit dem Telefon, sodass sich die Hautoberfläche erwärmt. Die Mikrowellenstrahlung des Mobilfunks ist da von untergeordneter Bedeutung. Sie sorgt für 0,1 bis maximal 0,2 Grad Celsius Erwärmung an der Oberfläche. Akku und Reibung hingegen machen das Ohr bis zu 2 Grad wärmer. Wir sprechen hier von einer lokalen Erwärmung. Die Kerntemperatur des Körpers ändert sich auch während eines stundenlangen Telefonats nicht.
Ab wie viel Grad würde es gefährlich werden?
Bei der Festlegung der gültigen Grenzwerte hat man gesagt: Wenn sich die Ganzkörpertemperatur um mehr als 1 Grad erwärmt, wird es gesundheitlich bedenklich. In der Sauna oder bei ganz intensivem Sport kann die Temperatur zeitweise sogar noch stärker ansteigen. Bei der lokalen Erwärmung von Gewebe ist man etwas toleranter. Hier sagt man, ab 41 Grad wird es ein Problem. Etwa 37 Grad gelten als normale Körpertemperatur – ein Plus von 4 Grad wird durch Mobilfunk aber nicht erreicht. Mobilfunk bleibt im Alltag also weit unterhalb der Grenzwerte.
Nun haben wir nicht nur ein Handy, sondern auch WLAN, smarte Fernseher, vernetzte Waschmaschinen und Mobilfunkstandorte in unserer Umgebung. Wie stark ist unsere allgemeine Strahlenbelastung gestiegen?
Die Anzahl der Strahlungsquellen sagt noch nichts über die Stärke aus. Der wichtigste Faktor für die Strahlungsstärke ist die Frage, wie weit eine Antenne senden muss und wie nah man selbst dran ist. Das eigene Mobiltelefon muss weit senden und ist meist nah beim Körper, sodass der größte Anteil der Strahlung vom eigenen Mobiltelefon kommt. Die Anzahl der Strahlungsquellen hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, die gesamte Belastung aber wahrscheinlich nicht.
Wie kommt das?
Die Technologie ist effizienter geworden. Früher hat jedes Telefonat über das 2G-Netz mit maximaler Sendeleistung begonnen und wurde dann runtergeregelt. Zudem war das Antennennetz weniger dicht. Weil die Signale der Antennen heute besser sind, strahlen die Mobiltelefone im Durchschnitt weniger stark. Wir sehen bei der Strahlenbelastung durch Antennen zwar eine gewisse Zunahme in den vergangenen Jahren, aber das gleicht sich zum Beispiel durch effizientere Mobiltelefone wieder aus. Das Mobiltelefon ist ja die Hauptstrahlungsquelle für die Bevölkerung.
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Nun bauen die Netzbetreiber 5G auf. Dafür entstehen Antennen an neuen und an bestehenden Standorten. Steigt dadurch die Strahlenbelastung?
Die Verursacher von Strahlenbelastung sind in erster Linie nicht zusätzliche Antennen, sondern es ist schlicht die Tatsache, dass die Menschen immer mehr mobile Daten austauschen. Antennen leiten nur weiter, was die Nutzer nachfragen. Die Strahlenbelastung steigt aber nicht proportional zum Datenaufkommen. Das konnten wir hier am Institut schon mit der Einführung von 4G nachweisen. Wir haben, finanziert vom Kanton Zürich, 120 Personen ein persönliches Messgerät mitgegeben. Das Gerät hat die Belastung aus der Umwelt aufgezeichnet. Wir haben beim Abgleich mit einer älteren Studie festgestellt: Die Menge der ausgetauschten Daten hat um den Faktor 400 zugenommen, die Strahlenbelastung aber gar nicht. Denn mit 4G wurde eine effizientere Technologie eingeführt. Ähnlich ist es mit 5G. Simulationsstudien zeigen, dass ohne 5G zumindest mittelfristig die Strahlung stärker zunehmen wird als mit 5G.
Warum sagt die Wissenschaft dann nicht klipp und klar: „Mobilfunk ist sicher.”?
In der Forschung gibt es immer Unsicherheiten, deshalb hält sich die Wissenschaft mit solch absoluten Aussagen zurück. De facto kann die Wissenschaft niemals beweisen, dass Strahlung unschädlich ist. Sie kann beweisen, wenn etwas da ist – aber dass etwas nicht da ist, lässt sich schon per Definition nicht beweisen. Wenn wir den ersten Außerirdischen finden, können wir sagen: Es gibt sie. Dass es sie nicht gibt, wird sich aber nie beweisen lassen. Ich glaube, ein Grundproblem ist, dass wir Menschen schlecht mit solchen Unsicherheiten umgehen können. Ich forsche seit 20 Jahren zum Thema Mobilfunk, die Datenlage ist seitdem viel besser geworden. Aber das nehmen viele nicht wahr.
Nun behaupten Menschen, sie seien elektrosensibel und sie spürten Mobilfunk körperlich. Wie kann das sein, wenn Strahlung doch so gering ist?
Es sind tatsächlich relativ viele Menschen, die sagen, sie könnten elektromagnetische Felder wahrnehmen. Je nach Studie ist es 1 von 10 oder 1 von 20 Personen. Dieses Phänomen lässt sich sehr gut im Labor untersuchen, indem man die Menschen einem Feld aussetzt. Hier kommen alle Studien zum Ergebnis: Es hat noch nie geklappt, Elektrosensibilität nachzuweisen. Aber wie oben erläutert, schließt das nicht komplett aus, dass es ein solches Phänomen geben könnte. Was aber sehr wohl geklappt hat: Wenn man den Probanden sagt „So, jetzt setzen wir sie einer Strahlung aus”, sagen viele „Oh ja, ich spüre es kribbeln, ich bekomme Kopfschmerzen.” Wir sprechen hier vom Nocebo-Effekt, dem Pendant zum Placebo-Effekt. Während ein Placebo, etwa ein Medikament ohne Wirkstoff, den Gesundheitszustand positiv beeinflusst, ist es beim Nocebo-Effekt umgekehrt: Menschen geht es schlechter. So geht es einigen beim Anblick eines Mobilfunkmastes – unabhängig davon, ob er in Betrieb ist oder nicht.
Eben jene Menschen blicken kritisch auf das sogenannte Beamforming: Mobilfunkantennen richten sich so aus, dass sie Geräte gezielt versorgen. Das hört sich nach einem starken Strahl an. Birgt Beamforming Gefahren?
Nein, das ist eine falsche Vorstellung. Momentan strahlt eine Antenne in einem 60- bis 120-Grad-Winkel. Das ist wie ein schlecht eingestellter Scheinwerfer, der alles ein bisschen ausleuchtet. Die neuen adaptiven Antennen, also Beamforming, führen dazu, dass es weniger Streustrahlung gibt und Menschen, die gerade kein Handy nutzen, sogar weniger belastet werden. Bei den Nutzern wird dafür das eigene Telefon weniger strahlen wegen der besseren Signalqualität.
Wäre ich elektrosensibel, würde ich Unterschriften sammeln für adaptive 5G-Antennen.
Prof. Dr. Martin Röösli
Ein neues Netz ist also, salopp gesagt, gesünder?
Ich erinnere mich noch an die Einführung von 3G. Damals gab es auch Befürchtungen, weil etwas Neues kam. Für uns Wissenschaftler war schnell klar, dass die neue Technologie effizienter ist und die Strahlenbelastung geringer. Damals kamen meine Kinder in das Handyalter und natürlich habe ich ihnen 3G-Handys gekauft. Und wäre ich elektrosensibel, würde ich Unterschriften sammeln für adaptive 5G-Antennen, die weniger Streustrahlung verbreiten.
Weniger Strahlung dank dichterem Antennennetz?
Ja. Handys sind extrem dynamisch. Abhängig von der Netzverfügbarkeit kann sich die Strahlung um den Faktor 100.000 unterscheiden – je schlechter das Netz, desto stärker die Exposition. Jemand der ohne Antenne in der Nähe für eine Minute telefoniert, ist stärker belastet als jemand, der sein Handy ein ganzes Jahr lang bei optimalen Bedingungen am Körper trägt. Ich kann absolut verstehen, wenn jemand kein Atomkraftwerk in seiner Nähe haben mag. Aber ich persönlich bin froh über die Mobilfunkantenne in meiner Nachbarschaft, weil ich im besseren Netz weniger durch Strahlung belastet bin.
Kommen wir noch einmal zu den Grenzwerten. Wie ist etwa die 1-Grad-Grenze entstanden?
Mobilfunkstrahlung hat verschiedene Effekte. Die Wissenschaft ist sich einig, dass die thermische Wirkung, also eine Erwärmung von Gewebe, die kritischste Auswirkung ist. Hier haben sich Wissenschaftler viele Studien angeschaut und sind zum Schluss gekommen, dass 1 Grad Erwärmung der Körpertemperatur die Grenze sein muss. Damit es aber nicht so weit kommt, wird für die Exposition am Arbeitsplatz ein Sicherheitsfaktor von 10 draufgeschlagen und bei der Allgemeinbevölkerung ein Sicherheitsfaktor von 50. Also selbst beim Grenzwert ist die Erwärmung der Körpertemperatur minimal.
Je höher die Funkfrequenz, desto weniger tief dringt Strahlung in den Körper ein.
Prof. Dr. Martin Röösli
Wer legt die Grenzwerte fest?
International gibt es einen großen Konsens über Grenzwerte für Handys und über Immissionsgrenzwerte für Orte, an denen sich Menschen aufhalten. Die meisten Staaten folgen den Empfehlungen der ICNIRP, einem Gremium internationaler Wissenschaftler. In der Schweiz gibt es zusätzliche Grenzwerte für Mobilfunkanlagen. Hier ist im Umweltrecht festgelegt worden, dass an Orten, wo sich Menschen länger aufhalten, die Exposition durch eine einzelne Antenne zehnmal tiefer sein muss als der Immissionsgrenzwert. Das führt aber nicht dazu, dass Menschen in Deutschland durchschnittlich höherer Strahlung ausgesetzt sind. Wir haben in der Schweiz mehr Antennenstandorte mit schwächeren Antennen. Diese strengeren Grenzwerte haben für uns Schweizer also einen positiven Nebeneffekt: Durch das dichtere Antennennetz haben wir weniger Funklöcher.
Sie sind selbst bei ICNIRP engagiert. Was ist das für eine Organisation?
ICNIRP ist eine Fachorganisation wie in vielen Bereichen der Wissenschaft. Das Gremium konstituiert sich selber. Wir suchen für die einzelnen Kommissionen die besten Fachexperten gemäß ihrer wissenschaftlichen Forschung. Es kann also nicht jeder mitmachen und es entscheiden keine Politiker oder Unternehmen über die Besetzung. Wir als Mitglieder erhalten keine Bezahlung. ICNIRP verbietet auch Interessenkonflikte: Es darf niemand mitwirken, der für die Industrie arbeitet oder von ihr finanziert wird. Es wird immer wieder behauptet, ICNIRP sei industrienah, aber das stimmt nicht und dafür gibt es auch keine Evidenz.
ICNIRP hat sich natürlich auch schon 5G gewidmet. Aber wie beurteilen Wissenschaftler eine Technologie, die neu ist und noch gar nicht getestet wurde?
Die Technologie ist im Grunde ja dieselbe. Es steckt einfach ein anderes Übertragungsprotokoll dahinter. 5G wird als leistungsstark und schnell beworben – daraus ziehen manche Leute die Schlussfolgerung, es müsse stärker strahlen. Aber das ist nicht so. Die Einführung von 5G kann man vielleicht vergleichen mit der Einführung eines neuen Autos. Jedes neue Automodell verursacht etwas andere Geräusche, aber niemand würde die Markteinführung verbieten, weil es keine Langzeitstudie zu dem spezifischen Geräusch von einem neuen Modell gibt. So verhält es sich auch bei 5G, es ist nicht etwas komplett anderes als 4G. Was anders ist, sind die Frequenzen. Auch die einfache Schlussfolgerung, dass je höher die Funkfrequenz, desto gefährlicher, stimmt so nicht. Ein Radiator etwa, also ein Wärmestrahler, hat noch eine viel höhere Frequenz als 5G. Grundsätzlich ist es so: Je höher die Frequenz, desto weniger tief dringt Strahlung in den Körper ein. Wer über die 3,6-Gigahertz-Frequenz telefoniert, belastet seinen Kopf sechsmal weniger als über die 1-Gigahertz-Frequenz – weil es weniger eindringt.
Zur Person - Prof. Dr. Martin Röösli
Prof. Dr. Martin Röösli ist Umweltepidemiologe. Er leitet die Einheit Umwelt und Gesundheit am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH). Röösli untersucht seit rund 20 Jahren die Auswirkung von Mobilfunkstrahlung und ist Mitglied der Internationalen Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP). Die Kommission wirkt beim Erstellen von Grenzwerten für Handys und Antennen mit. Röösli leitet in der Schweiz die Expertengruppe nichtionisierende Strahlung (BERENIS).
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