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Dr. Tobias Weinmann

„Kein Hinweis, dass häufige Handynutzung Krebs verursacht“

31.05.2022
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Dr. Tobias Weinmann erforscht den Einfluss von Handystrahlung auf Kinder. Der Psychologe und Epidemiologe arbeitet am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München. In seinem Beitrag berichtet Weinmann über Ergebnisse der MOBI-Kids-Studie und was er als Vater anderen Eltern rät.

„Macht das Handy Krebs?“ Dies haben mich Jugendliche gefragt – und vor allem deren besorgte Eltern. In einem internationalen Team sind wir für die MOBI-Kids-Studie genau dieser Frage nachgegangen. Bei der Erhebung habe ich gemerkt, wie verbreitet die allgemeine Besorgnis vor Handystrahlung ist. Unser Ergebnis: Wir haben keinen Hinweis gefunden, dass häufige Handynutzung bei Kindern Krebs verursacht.

In 14 Ländern hat eine Gruppe von Forschenden den Zusammenhang von Mobilfunknutzung und Hirntumoren bei Kindern und Jugendlichen untersucht. Auch ich bin dafür mit Fragebögen in mehreren Kliniken gewesen. MOBI-Kids ist eine sogenannte Fall-Kontroll-Studie. Wir haben einerseits Fälle befragt: 900 Menschen zwischen 10 und 24 Jahren mit Hirntumoren. Und wir haben eine Kontrollgruppe befragt: 1.900 nicht erkrankte Menschen, die im gleichen Alter sind, in der gleichen Region wohnen und gleichen Geschlechts sind.

Vieltelefonierer haben laut Studie kein höheres Krebsrisiko

Wir haben sie zu persönlichen Gespräch getroffen, um eine möglichst hohe Qualität in den Antworten zu erhalten. Wir haben vor allem zur Nutzung von Mobiltelefonen, Schnurlostelefonen und WLAN gefragt. Wann hatten Sie Ihr erstes Handy? Wie viel haben Sie telefoniert, im ersten Jahr und in den Jahren danach? Wir haben Anzahl und Dauer der Nutzung über die bisherige Lebenszeit verglichen. Zudem haben wir die Kinder und Jugendlichen auch nach anderweitiger Nutzung mobiler Telefone gefragt, wie zum Beispiel das Senden von Textnachrichten oder mobiler Datennutzung. Wir haben viel Aufwand betrieben, um anschließend die Daten zu prüfen. Mit Zustimmung der Probanden haben wir sogar ihre Angaben mit Handyrechnungen und Verbindungsnachweisen verglichen. Wir haben außerdem Bilder von 6.000 Mobiltelefonen gehabt. So konnten sich Menschen etwas besser erinnern, welches blaue Handy mit Antenne sie damals zum 14. Geburtstag bekamen.

Am Ende haben wir festgestellt, dass die Hirntumor-Patientinnen und -Patienten in ihrem bisherigen Leben nicht mehr mobil telefoniert hatten als die Vergleichsgruppe. Das relative Risiko für die Vieltelefonierenden war auch nicht höher als das Risiko für die Wenigtelefonierenden.

Unser Problem: Ungefährlichkeit ist niemals nachweisbar

Können wir nun sagen, dass Mobilfunk ganz sicher keinen Krebs verursacht? Nein, diese Aussage werden wir niemals treffen können. Dies hat einen wissenschaftstheoretischen Grund. Es ist unmöglich, einen Nulleffekt nachzuweisen. Noch einfacher gesagt: Wir können kein Nichts nachweisen. Man kann immer nur das nachweisen, was da ist. Deshalb wird es nie eine finale Studie geben, die die absolute Ungefährlichkeit nachweist. Das wäre schlicht unseriös.

Und wo liegt überhaupt die Grenze? Wir können heute schon viele Menschen befragen, die seit 30 Jahren mit dem Handy telefonieren. Wir haben aber fast keine Person, die seit 50 Jahren mobil telefoniert. Reichen 30 Jahre, braucht es 50 Jahre Nutzung oder sogar 80? Die bisherigen Ergebnisse der Wissenschaft geben wenig Anlass zur Sorge. Mobilfunk ist sehr gut erforscht. Die Frage, woher all die Sorgen kommen, hingegen kaum.

Handystrahlung wirkt, ist im Alltag aber unbedenklich

Ich bin selbst Vater von zwei Kindern. An andere Eltern gerichtet kann ich nur sagen: Es gibt weder Grund zur Panik noch zur Besorgnis. Handys senden und empfangen elektromagnetische Felder, damit ein Telefongespräch funktioniert. Wir sprechen meist vereinfacht von Strahlung und Strahlung ist etwas, das wir aus der Natur kennen – die Sonne zum Beispiel strahlt. Deren Strahlung spüren wir sogar, sie wird warm auf unserer Haut. Die Strahlung vom Handy wird von unserem Körper auch in Wärme umgewandelt. Aber diese Strahlung ist so gering, dass wir die Wärme nicht spüren. Handystrahlung hat also eine Wirkung – aber sie ist nach allem, was wir wissen, nicht gefährlich. Das liegt auch daran, dass es Grenzwerte gibt, also klare Regeln, wie stark etwas strahlen darf.

Ob Kinder nun ein 4G- oder ein 5G-Handy nutzen, ist aus meiner Sicht unerheblich. Die 5G-Technologie arbeitet mit Funkfrequenzen, die schon vorher benutzt wurden. Sie ist eine Weiterentwicklung. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir unser medizinisches Wissen über 4G und frühere Generationen auch auf 5G übertragen können. Womöglich ist es umgekehrt und 5G ist sogar besser: Technik entwickelt sich weiter und häufig sind modernere Geräte strahlungsärmer, denn sie arbeiten effizienter. Um hierzu eine solide Datenbasis zu haben, sollte die Einführung von 5G aber natürlich weiterhin durch wissenschaftliche Forschung begleitet werden.

Strahlung von Funkmasten ist keine Gesundheitsgefahr

Jetzt werden viele einwenden: Aber in unserer Umgebung entstehen immer mehr Funkmaste. Das stimmt. Allerdings ist die Strahlung dieser Antennen sehr gering, selbst wenn man direkt daneben wohnt. Mir sind keine gesundheitsschädigenden Wirkungen durch Funkmaste bekannt. Die Strahlung durch unsere eigenen Geräte ist im Vergleich hierzu viel höher. Wir tragen das Handy direkt am Körper oder halten es an den Kopf. Deshalb haben wir bei MOBI-Kids ausschließlich nach der eigenen Handynutzung gefragt.

Die Grafik zeigt die Exposition von Mobilfunkstrahlung durch Mobilfunk Basisstationen und Smartphones.

Was ist eigentlich mit anderen Krankheiten außer Krebs? Die Forschung untersucht schon seit langer Zeit, ob elektromagnetische Felder Befindlichkeitsstörungenauslösen. So nennen wir die Beschwerden von Personen, die sich als elektrosensibel bezeichnen: Sie klagen über Kopfschmerzen oder Schlafprobleme und führen dies auf den sogenannten Elektrosmog zurück. Ich habe selbst an einer Untersuchung des Phänomens mitgewirkt, als ich noch studentische Hilfskraft war. Wir haben das Befinden von einer vierstelligen Zahl von Kindern und Jugendlichen untersucht. Die hatten ein Messgerät bei sich und haben parallel ein Beschwerdetagebuch geführt. Dort hat sich kein Zusammenhang gezeigt. Bei höherer Exposition durch Strahlung hatten sie nicht häufiger Kopfschmerzen oder Schlafprobleme.

Psychische Wirkung der Handynutzung ist wenig erforscht

Trotz allem: Ich rate zu Augenmaß. Ich kann etwa auf der Website des Bundesamtes für Strahlenschutz ein möglichst strahlungsarmes Handy aussuchen. Mich persönlich besorgt die Strahlung im Alltag nicht, ich achte einfach darauf. Für Kinder finde ich viel relevanter, wie sie mit dem Handy umgehen. Ja, sie sollten ruhig Handys nutzen. Denn in unserer Gesellschaft brauchen Kinder digitale Kompetenzen. Ich möchte aber nicht, dass meine Kinder nur mit dem Handy beschäftigt sind – nicht wegen der Strahlung, sondern weil ich glaube, dass sie draußen auf dem Spielplatz eine viel bessere Zeit haben. Als Psychologe habe ich nicht nur die biologischen Wirkungen im Blick. Im Hinblick auf Kinder und Jugendliche erscheint es tatsächlich spannender, wie sich die Handynutzung psychisch auswirkt. In der Verhaltens- und Stressforschung gibt es hier noch viel Forschungsbedarf.

Wir sollten auch nicht nur über mögliche Gefahren sprechen. Mobilfunk hat medizinisch gesehen viele Vorteile. Ich kann von unterwegs den Notruf wählen. Wer vor 40 Jahren auf der Landstraße einen Unfall hatte, musste noch zum nächsten Haus laufen und Hilfe holen. Heute gibt es Telemedizin: Patienten können Messwerte oder ihren Blutzuckerspiegel von unterwegs an einen Arzt übermitteln. Und wir Mediziner können virtuell bei Operationen anwesend sein, die 1.000 Kilometer entfernt stattfinden. Darin stecken viele Chancen, insbesondere für unsere Kinder.

Wollen Sie genauer nachlesen? Das Bundesamt für Strahlenschutz hat eine Stellungnahme zur MOBI-Kids-Studie veröffentlicht. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung der Ergebnisse auf Englisch findet sich in „Environment International“.

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